Agnostic Front: Victim in Pain

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AGNOSTIC FRONT – Victim in Pain – RatCage Records 1984

Im Jahr 2013 habe ich Agnostic Front auf einem Open Air Festival gesehen und war ein paar mal sehr berührt. Allerdings peinlich. Wenn man sich das bunte Treiben auf und vor der Bühne anschaut, wünscht man sich einfach nur ganz weit weg. Tough Guy Yeah Yeah New York United Testosteron Macker Scheiße, und das alles dann noch mal in beschissen.

Andererseits hatte ich die Band ein oder zwei Jahre vorher in kleinem Rahmen in einem Club mit etwa 200 anderen Menschen gesehen, und das Konzert war einfach — umwerfend! Ja klar, die zu erwartenden obligatorischen Vechta-ist-heute-die Bronx-Primaten und ähnliche Platzhirsche waren natürlich zugegen. Aber es ist schon was anderes, wenn davon 15 da sind anstatt 1500… Die Show war super, was mir wenige Leute geglaubt haben, denen ich davon erzählt habe. Das dürfte daran gelegen haben, dass die Band neben neueren, gar nicht mal sooo üblen Songs wie „My Life, My Way“ (jaja..) auch viele ältere wie „The Eleminator“ und „Crucified“ gespielt hat. Was mich aber wirklich berührt hat – und dieses Mal nicht peinlich – war die Tatsache, dass fast die gesamte „Victim in Pain“ LP gespielt wurde!!!

Die Platte ist neben der „Damaged“ von Black Flag eine meiner Lieblingshardcoreplatten aller Zeiten. Aber während Black Flag dich mit rostigen Nägeln und Daumenschrauben bearbeiten, bevor sie dir eins rüberziehen, kommen Agnostic Front auf der „Victim in Pain“ direkt zur Sache und schlagen einfach ohne Vorwarnung zu. Der Titelsong, Songs wie “Society Sucker” (der Titel allein!!!) und das unerreichte “Power” sind einfach Punk/HC Manifeste für die Ewigkeit. Überhaupt, alles was Hardcore ist und sein kann, findet sich auf dieser Platte, im Guten wie im Schlechten: glühende Energie, Hass, Wut, Dreck, Aggression, Frustration, Entfremdung, Phrasendrescherei, Plattitüden, Peinlichkeiten, Spitzen-Texte, Schrott-Texte, musikalisches Unvermögen, Spielfreude, das große gesellschaftliche Ganze vs Szenen-Nabelschau, Kompromisslosigkeit, Posertum, einfach alles. In 18 Minuten wird hier alles gesagt bzw. runtergeknüppelt.

Man merkt der Band dabei die Punk-Roots an. Gitarrist Stigma war ja auch 1984 schon nicht mehr der jüngste, zumindest für damalige Verhältnisse, immerhin Ende 20, hatte also die ganze 70er Punkphase in New York miterlebt. Das kann „Victim in Pain“ nicht verhehlen: Punk Rock, jedoch von allem Überflüssigen befreit und komplett entschlackt, also buchstäblich “hard core“,  runtergebrochen auf das absolut Wesentliche, musikalisch und textlich. Ach ja, die Texte…

Der Nachfolger der „Victim in Pain“ LP – „Cause for Alarm“ – ist ja nicht nur musikalisch, sondern vor allem textlich teilweise mehr als zweifelhaft. Wobei sich Sänger Roger Miret davon mittlerweile distanziert und Fehler einräumt – vielleicht auch, weil die Band gemerkt hat, dass unreflektiertes Auf-Minderheiten-Rumhacken und anderes beschissenes Rumgetöse beim zahlreichen und vor allem zahlungskräftigen europäischen Publikum nicht so gut ankam? Naja, sei mal dahingestellt…

Jedenfalls sind die Texte der „Victim in Pain“ LP über jeden Zweifel erhaben und lassen eine mit faschistoiden Entwürfen liebäugelnde Lesart in keiner Weise zu.

OK, um das Ganze zum Abschluss zu bringen: eine der besten Hardcoreplatten aller Zeiten! Schade, dass die sich nicht danach direkt aufgelöst haben, es wären der Welt einige Peinlichkeiten erspart geblieben…

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