Fjørt & Heads. @ B58, Braunschweig 20.01.2015

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Endlich mal was Vernünftiges los in Braunschweig! Das B58 ist ein Jugendzentrum mit ordentlichem Raum und guter Soundanlage: normalerweise spielen hier A Traitor Like Judas und Konsorten, daher war ich bisher erst einmal hier, aber als Location ist der Laden an und für sich echt gut. Hier finden bestimmt 200 Personen Platz und man kann von überall ok gucken.

Als wir reinkommen, haben Heads. schon angefangen, sehr pünktlich, wie angekündigt um 20:30h. Normalerweise habe ich das Bandroster von This Charming Man Records ziemlich genau auf dem Schirm, im Mai wird die Heads. LP dort erscheinen, mit dieser Band hab ich mich bisher allerdings quasi überhaupt noch nicht beschäftigt. Im Hinterkopf habe ich nur „Berlin“ und „Noiserock“ als Stichwörter, aber was heißt das schon. Randnotiz 1: Abendkasse 13€ in einem Jugendzentrum ist vielleicht ein bisschen hoch gegriffen, aber Fjørt sind jetzt bei einer Booking Agentur, und die will auch von was leben und irgendwo muss es ja herkommen und naja.

Treppe hoch und rein und als erstes fällt mir auf, dass der Bassist des Trios Tobi Koloss aus Münster erstaunlich ähnlich sieht von Weitem. Als Zweites dann: Noise Rock ja, und wie! Mittendrin im Mitt-90er Amphetamine Reptile Gedächtnis-Sound in geil! Seit geraumer Zeit frage ich mich, wie es sein kann, dass dieser Style so aus der Mode oder aus dem Focus geraten ist. Das gilt jungen Leuten vielleicht als altbacken. Pumpender, fies verzerrter Bass, sägende und schräge Gitarren, stoischer Beat voller Details, so muss das sein! Wenn der Gitarrist/Sänger tief singt (meistens), erinnert er an Tod A. in seiner besten Phase (Cop Shoot Cop), wenn er schreit (nicht so oft, dafür sehr eindringlich) klingt er wie ein junger und wütender Steve Albini, also eher Big Black als Shellac. Der Bass-Sound ist wirklich monströs, fett verzerrt und drückend, wie bei Hammerhead (US). Als letztes fallen mir noch Jesus Lizard als Vergleich ein, wegen der rhythmischen Präzision.

Die Band walzt sich also durch teils dissonante, immer drückende Midtemponummern, der Sound ist glasklar, ich bin nicht sicher, ob das der Hausmischer ist oder ein eigens mitgereister, auf jeden Fall Daumen nach oben, richtig gut. Und laut, aber nicht zu laut.

Es sind übrigens mindestens 60 Leute da, für einen Dienstagabend in Braunschweig nicht nur „nicht schlecht“, ich bin wirklich überrascht. Der Sänger kommt übrigens aus Australien, aus einem Ort namens Brunswick, haha. Das sei aber ein ganz anderes Brunswick als dieses. Sehr sympathisch. Es wird nicht viel geschwafelt, dafür umso mehr gerockt; dass der Gitarrist alle Tremoloeffekte durch ein ruckartiges Reissen des Gitarrenhalses hervorzaubert, finde ich auch ziemlich cool, und ich möchte sowas schreiben wie „souverän“ und „überzeugend“, aber das liest sich so langweilig, also ich bin wirklich überrascht und begeistert, wie 3 Typen genau diesen AmRep-Style heraufbeschwören können, ohne dass es aufgesetzt wäre, und noch mit eigenem Wiedererkennungswert! Hab echt Bock auf die Platte. Also wer sich in dem Dreieck Hammerhead (US), Jesus Lizard und Big Black wohl fühlt: unbedingt anchecken! Sind die Cows nicht auch Australier? Randnotiz 2: Lina fand ein paar Songs gut, ein paar anstrengend, was eigentlich immer der Fall ist, sobald die Gitarrenakkorde irgendwie dissonant sind. Spricht also eher für die Band, aus Noise Rock Fan Perpektive, immer schön anstrengend muss es sein! Richtig grinden! Der letzte Song namens „Black River“ soll auch auf der Platte erscheinen, ich bitte darum, ein schöner Spannungsbogen, fast wie bei Slint, wie überhaupt alle Songs echt gut arrangiert sind, kurzweilig, spannend und mächtig scheppernd. Schleppend und schleifend. Mehr!

Dann Fjørt, die sehe ich heute zum dritten Mal und frage mich wieder einmal: was gefällt mir an deren Auftritten am besten? Der Schlagzeuger, der mit ordentlich Punch richtig was kann, ohne anzugeben? Der Sänger/Gitarrist, der in einem durch infernalisch schreit, ohne Pause, und nebenher noch diese eisigen Gitarrenfriemeleien im Griff hat? Oder der unheimlich dicke Bass-Sound, auch mal mit Bogen gestrichen? Die Band ist auf Tour, das merkt man denen auch an: die sind noch tiefer in ihren Songs als sonst, habe ich das Gefühl, die haben richtig Bock. Wer die noch nicht kennt: in einem Satz beschrieben, wenn man es sich leicht machen wollte, klingen die wie härtere Turbostaat. Traurige, leicht kryptische Texte auf deutsch, geschrieen, also aufs erste Reinhören so Screamo, neudeutsch Posthardcore. Aber die Blastbeats und vor allem das Gitarrenspiel sind deutlich beeinflusst von Black Metal und dem, was man heute Post Rock zu nennen versucht: delayverwaschene Linien, die klingen wie direkt aus dem Eismeer, der Bandname kommt nicht von ungefähr.

Das Publikum ist übrigens offensichtlich wegen denen hier, nicht nur zufällig oder als Stammgäste des Ladens: es sind eher 80 als 60 Leute, die ersten Reihen (ja, Plural!) sind textfest und ein einzelner Stagediver wird auch tatsächlich getragen. Fett. Nach dem obligatorisch letzten „kleinaufklein“ gibt es sogar noch „fenris“ als Zugabe, mit dem Gimmick, dass eine Taschenlampe am Gesangsmikro ins Publikum gerichtet ist: „Du glänzt und scheinst“, minimaler Aufwand, maximaler Effekt.

Ich bin immer noch irritiert davon, wie gut die Band funktioniert und wie viele Leute sie anspricht, weil ich immer noch finde, dass die Musik relativ extrem ist, lärmig und krachig, ein bißchen wie eine dynamischere Version von Wolves In The Throne Room auf deutsch, aber die Leute wollen heutzutage ja auch gefordert werden: zum Glück. Mit der Booking Agentur im Rücken bin ich gespannt, wie weit Fjørt es schaffen, gegönnt sei es denen auf jeden Fall, denn die sind total sympathisch und haben sich, wie immer, herzlich bei allen bedankt. Interessanterweise finde ich es erwähnenswert, dass die sich immer bedanken, und es wird denen scheinbar schon nachgesagt, dass die sich „zu viel“ bedanken. Aber: früher gehörte das zum guten Ton, heute fällt es auf, wenn das überhaupt mal jemand macht. Ich finde das völlig legitim und wünschenswert: es ist schließlich nicht selbstverständlich, dass sich am Wochenanfang in einer Stadt, die hauptsächlich durch Volkswagen und die Technische Uni geprägt ist, so viele Enthusiasten zusammen finden.

Unterm Strich also ein lohnenswerter Abend: eine überraschende Neuentdeckung mit Heads., die mir in ihrer Sperrigkeit runtergehen wie Öl und ein weiterer, sehr guter Auftritt von Fjørt.

Foto: Tobias Neumann

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