Swans & Pharmakon @ Pavillon, Hannover 25.10.2014

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Die Swans spielen in Hannover! Zum Glück hat Herr Broxtermann mich darauf aufmerksam gemacht. Und da Köln ziemlich zügig ausverkauft war, geht es also in die niedersächsische Landeshauptstadt. Da ich gerade nach Braunschweig umgesiedelt bin, passt mir das ganz gut. Die Location wurde ebenfalls zügig verlegt, vom Musikzentrum in den Pavillon. Ich konnte mich selbst beim Kadavar-Auftritt davon überzeugen, dass das Musikzentrum tatsächlich zu klein sein dürfte (Kadavar waren übrigens richtig gut!) für die Monolithen des Drone-Noise-wiesollmandasnennen. Der Pavillon liegt fast direkt neben dem Hauptbahnhof, das kommt mir sehr gelegen. Im Vorfeld bekomme ich erzählt, das sei eher „so was für Theater“ und von Bestuhlung ist die Rede. Ich bin gespannt! An der Tür hängt erst einmal eine ernstgemeinte Warnung vor gesundheitlichen Schäden: man solle Gehörschutz tragen, es gibt auch welchen vor Ort, da das Konzert „bis zu 120db“ laut werden wird und man keinerlei Haftung übernehmen könne. Tja: dafür bin ich ja da!

Die Münsteraner Fraktion kommt pünktlich an, großes Hallo, noch ein paar Bekannte, Herr Broxtermann selbst natürlich, und nach ein paar Getränken und dem üblichen Merchstandabgechecke trödeln wir langsam rein. Neben Shirts, Vinylen und CDs gibt es schöne Siebdruckposter mit verschiedenen Motiven für jedes Konzert (Köln, Berlin, Hannover), die letzten beiden 3xLPs zum Dumpingpreis von 25€ und ein handgekritzelter Zettel verrät uns, dass Michael Gira höchstselbst später noch zum signieren herkommt. Hm. Die Platten hab ich schon, was zum signieren dabei hab ich nicht und so cool die Poster auch sind: wenn ich irgendwas zu viel zuhause habe, dann sind das Poster. Damit bin ich raus, aber dennoch: Daumen nach oben dafür!

Der Konzertsaal ist aufgebaut wie eine Arena und tatsächlich halb bestuhlt: wir eiern trotzdem ganz runter, um uns Pharmakon anzugucken. Die Frau ist alleine und die Geräte auf ihrem Tisch verursachen einen ziemlichen Lärm, zu dem sie herumschreit wie eine Irre, verzerrte Vocals, wie nennt man das…Harsh Noise? Death Industrial? So Zeug eben. Zunächst finde ich das langweilig, immerhin springt sie ins Publikum und kreischt Leute an, die sofort versuchen, unbeteiligt zu wirken, was aber nicht geht. Philipp und Jan sind sofort ganz verliebt, ich brauche noch ein bißchen, und tatsächlich entwickelt sich eine Sogwirkung. Ich hätte vielleicht eher reingehen sollen statt schmal zu talken, denn der Auftritt ist ziemlich kurz, ich glaube nicht, dass das insgesamt 40 Minuten waren. Pech für mich.

Nach einer kurzen Umbaupause geht es dann endlich los. Ich muss dazu sagen, dass ich die Swans auf der letzten Tour verpasst habe, aus reiner Arroganz, weil ich die auf deren Abschiedstour 1997 gesehen habe, übrigens auch in Hannover. D.h. die aktuelle Inkarnation ist für mich spannend und neu, auf Platte sowieso, aber auch live bin ich ziemlich gespannt, obwohl man sich ja grob vorstellen kann, was jetzt passiert.

Der Urmensch, der vorhin noch am Merch stand, läutet im wahrsten Sinne des Wortes den Auftritt ein, mit einem riesigen Gong. Ich bin unsicher, ob das Improvisation ist, oder ob der einen Plan hat, seine Wirkung verfehlt er auf jeden Fall nicht. Irgendwann, man hat sich schon ganz verloren im Gong-Geschepper, im Auf- und Abschwellen von Sound, da kommt der Drummer dazu und steigt ein mit, nun ja, Getrommel. Ich habe Mühe, das wiederzugeben, denn was folgt, wird zur intensivsten Konzerterfahrung seit langem.

Ein kaugummikauender Typ schlurft auf die Bühne und setzt sich hinter seine Pedal Steel. Wenn Jan mich nicht drauf aufmerksam gemacht hätte, ich wüsste nicht, dass der Deutscher ist, so amerikanisch, cowboyesk kommt er mir vor, gegerbt vom Wetter, verbogen vom Leben. Zugegebenermaßen hab ich mir die letzten Platten nicht oft angehört, das ist ja auch eine Frage der Belastbarkeit, sich diese langen, kathartischen und düsteren Songs zu geben. Es dauert auf jeden Fall noch eine ganze Weile, bis der Basser und Gitarrist Norman Westberg, der ebenfalls Kaugummi kaut, die Bühne betreten und ihrerseits einstimmen. Wie viele Platten habe ich wohl, auf denen der mitspielt? Ich bin beeindruckt. Endlich erreicht auch Michael Gira die Bühne. Auf mich wirkt er frisch, gesund, gut gelaunt, konzentriert. Nicht angriffslustig, aber, ich glaube, in Stimmung. In Stimmung, uns alle wegzublasen. Und das tut er dann auch.

In meiner Erinnerung war der 1997 viel älter, als er jetzt aussieht. Vermutlich hat er Spaß, findet Erfüllung in dem, was er tut. Die aktuelle Besetzung ist ja nun mal der Wahnsinn, und endlich wird dem Mann die Aufmerksamkeit zuteil, die seinem Werk gerecht wird. Ich kann mich an einen Sommer erinnern, in dem ich kaum etwas anderes gehört habe als Swans-Platten. „The Great Annihilator“, „Soundtracks For The Blind“, eine Zeit lang habe ich mich bemüht, „Helpless Child“ mit seinen immerhin schon 15 Minuten jeden Tag mindestens einmal zu hören, in Spitzenzeiten hab ich es geschafft, den morgens und abends abzuspielen. Echt irre. Dass Gira immer noch oder wieder am Start ist, halte ich für einen Segen: überhaupt finde ich es bemerkenswert, wie einer es schafft, seinem Lebenswerk im sogenannten „Alter“ die Krone aufzusetzen, indem er alle Ideen, die ihn kreativ seit jeher umtreiben, derart auf den Punkt zu bringen. Das Depressive, aber auch Schöne. Ich empfehle übrigens Giras Kurzgeschichtensammlung „The Consumer“ von 1996, bin unsicher, ob das überhaupt noch erhältlich ist. Seinerzeit musste man das extra aus Amerika bestellen (und ich schreibe extra, weil das 1996 durchaus noch ein Akt war).

All das schwirrt mir durch den Kopf, während die Band immer lauter und lauter wird, ein unerbittliches Stampfen, ein Beat, den die Band sich nicht ausgedacht hat, sondern der durch sie durch fließt und artikuliert wird, aber schon immer da war. So langsam bekomme ich einen Eindruck von „tribal“, eine Ahnung davon, wie es ist, sich in Trance zu spielen oder eben spielen zu lassen. Gira zelebriert eine Messe. Und wenn man denkt, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Höhepunkt her. Absolut fantastisch, wie die Musiker nach minutenlangem dröhnen auf Giras Fußstampfer hin alle plötzlich gleichzeitig verstummen. Hätte ich nicht für möglich gehalten. Die sind so dicht beieinander, als würden sie von unsichtbaren Notenblättern abspielen. Tun sie aber nicht. Das ist spannend, und bleibt es auch die ganze Zeit. Ich hatte erwartet, dass sich zwischendurch eine gewisse Ermüdung einschleichen würde, dass man nach 2 Stunden das Konzept durchschauen und daher das Interesse verlieren würde, aber: es gibt ja nichts zu durchschauen, die Machart war ja von vornherein klar. Und man kann tatsächlich über 2 Stunden lang darüber staunen, wie eine Band so nachdrücklich die Ewigkeit predigen kann, immer im Hinblick auf die Ekstase, die sich nur so erreichen lässt: durch repetetive Lautstärke, durch bluesiges lamentieren und gemeinsam erzeugten Krach.

Irgendwann beschwert Herr Gira sich über den Gesangsmonitorsound, entschuldigt sich mehrfach für die Unterbrechung, aber fürchtet, er könne „deaf tomorrow“ werden, wenn der Bühnenmischer jetzt nicht diese „what is that? 3K?“, also 3 Kilohertz mindern würde. Der tut das, zur Folge klingt der Gesang mumpfig, das ist dem Meister auch nicht recht. Wir fürchten, er bricht ab, aber nein, er fügt sich seinem Schicksal, er hat noch die Erleuchtung abzuliefern, und spielt weiter, „with not much singing“, aber das ist nicht so schlimm. Auch instrumental kriegt man, was man sich erhofft hat. Majestätisches. Die spielen auch gar nicht, die bändigen da etwas. Hoch konzentriert versuchen die, was im Griff zu behalten und das verlangt denen einiges an Konzentration ab.

Interessanterweise habe ich Frau Jarboe überhaupt nicht vermisst, und das spricht Bände über die Qualität der Darbietung. Als das Konzert dann irgendwann wirklich vorbei ist, bin ich heilfroh, das ich diese Ohrenstöpsel hatte…in einer leisen Passage habe ich gewagt, die rauszunehmen, habe mich geärgert, weil der Sound ohne diese Dinger so viel besser war, aber als die Swans wieder anhoben, habe ich mich echt nicht getraut, es drauf ankommen zu lassen. Am Ende noch ein bißchen Fachsimpelei im Foyer, noch ein Getränk, die anderen decken sich ein, aber ich verzichte heute auf sowas Schnödes wie Souvenirs, erleuchtet wie ich bin.

Foto: Tobias Neumann

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