Voivod: Target Earth

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VOIVOD – Target Earth – Century Media 2013

Zunächst hab ich mich gescheut, diesen Artikel überhaupt anzufangen. Ich bin nämlich Fan. Voivod Fan. Seit 22 Jahren ca. Es gibt Leute, die rollen mit den Augen, wenn sie mitbekommen, wie mich jemand auf die Band anspricht, ob ich die kennen würde, ich halte nämlich gerne Voivod Referate. Aber: wofür machen wir den ganzen Quatsch hier? Doch nicht zu Eurem Vergnügen!

Als Ausnahme-Gitarrist Denis „Piggy“ D’Amour tragisch an Darmkrebs viel zu früh verstorben ist (2005 war das), hab ich geweint. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich, in Stunden bzw Wochen gerechnet, irgendeiner Band mehr zugehört habe als Voivod.

In guten wie in schlechten Zeiten, denn leider waren nicht alle Platten gleich brilliant wie „Killing Technology“ (1986), die den Sci-Fi-Thrashmetal erfand, den niemand danach auch nur annähernd ähnlich spielen konnte. Wie man die Weiten des Alls mit einer Metalband darstellen kann fasziniert mich bis heute. Viele Leute machen ja den Fehler, Science Fiction als reine Fantasie abzutun und übersehen dabei, dass Sci Fi per definitionem immer einen direkten Bezug zur Realität hat, es heisst ja nicht Fantasy Fiction…die Angst vor nuklearen Katastrophen, Totalitarismus und technischer Entfremdung wird auf dieser Platte nahezu visionär früh thematisiert.

Oder „Dimension Hatröss“ (1988), eine meiner absoluten Lieblingsplatten, die ich mir erarbeiten musste, weil ich sie nicht verstand. Daran arbeite ich mich immer noch ab, weil ich mir überhaupt nicht vorstellen kann, wie man dieses Cyberpunk-Thrash-Universum entstehen lassen kann, nahezu ohne Einsatz von Elektronik. Mit Gitarre, Baß, Schlagzeug und Gesang. Ist mir bis heute ein Rätsel.

Dann mit „Nothingface“ (1989) ein weiterer Höhepunkt, musikalisch noch vergleichbar mit „Dimension Hatröss“, aber in der Produktion so klinisch und flach, dass ich abermals etwas gebraucht habe, um das überhaupt greifen zu können. Von be-greifen ganz zu schweigen. Der eigenen Zeit weit voraus, mit nachweisbaren Einflüssen von Stravinsky, harmonische und rhythmische Achterbahnfahrten, die einen richtig mitnehmen können und natürlich die bekannte Coverversion von Pink Floyds „Astronomy Domine“.

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Denis „Piggy“ d´Amour (1959-2005)

Auch die unterbewertete „Angel Rat“ (1991) gehört zu meinen Lieblingsplatten: in den Ohren vieler ist es schnöder Hard Rock, ich höre da viel Poesie, Mystisches, Philosophisches und Dunkles. Die Befreiung vom komplizierten Rhythmus hat mir immer gut gefallen, Piggys Gitarrenspiel wird hier sehr viel Raum gegeben und man entdeckt eine ganz andere Seite.

Dann gab es eine lange Phase mit sehr unterschiedlichen Platten (die bisher genannten empfinde ich grundsätzlich als ein Ganzes, wie einen Vierteiler), die alle ihre Stärken haben, aber, fast möchte man sagen, bis auf „Phobos“, auch ihre Schwächen.

Der Ausstieg von Ur-Bassist Blacky nach Angel Rat macht sich auf der darauffolgenden „Outer Limits“ (1993) schwer bemerkbar. Danach steigt Sänger Snake aus, für jede normale Band der Todesstoß…hier will ich mich kurz fassen, die Trio Phase mit Eric Forrest an Baß & Gesang hat mit „Negatron“ (1995) eine gute Platte mit NuMetal-Einflüssen und mit „Phobos“ (1997) eine fantastische, psychedelisch-heavy-bedrohlich-schwelende und malmende Industrial-Walze hervorgebracht, und auch die Phase nach dem Split von Forrest, in der Snake zurückkam und Newsted von Metallica sehr engagiert den Baß übernahm, hat ihre guten Seiten. Allerdings hatte ich ab da selbst manchmal das Gefühl, schnöden Hard Rock zu hören. Snake wirkte gesanglich manchmal bemüht, aber nicht überzeugend, und dass die letzten Platten um Gitarrenspuren des bereits verstorbenen Gitarristen Piggy herumkonstruiert wurden, machte es nicht einfacher oder besser…aber: die Band hat durchgehalten. Sie hat selbst das Voting überlebt, in dem sie die Fans gefragt hat: „Soll jemand anderes als Piggy bei Voivod Gitarre spielen?“ und die Fans haben, ganz loyal die Iron Gang, gesagt: „Nein“. Und dem zum Trotz hat die Band mit dem offenbar höchst begabten Gitarristen Daniel „Chewy“ Mongrain (von Martyr), zunächst nur live, nun auch im Studio, weitergemacht. Und die Band beschenkt uns, mit dem mittlerweile wieder zurückgekehrten Blacky am Blower Bass, mit einer der besten Voivod Platten seit 1991. Ich dreh komplett durch!

Und jetzt alle Songs im Detail:

01 – Target Earth

1A Voivod Intro: verstörende Funksignale, dann der mächtige Bass von Blacky, zunächst unklar, was für ein Rhythmus das ist, wie das erste mal „Experiment“ hören, dann Tribal Drums von Away und ein Phasing von Chewy, dann geht’s los und die Band ballert. Punkt. Dann der erste Piggy Chord. Meine Hände fangen an zu schwitzen. Dimension Hatröss. Ich krieg Puls. Sollte die Band wieder an alte Zeiten anknüpfen können? Weiteres Gestampfe. Dann die Bridge und der Refrain, zunächst instrumental: das muss man gehört haben, um es zu glauben. Eben die dunkle Stimmung aus „Angel Rat“ ist da, aber im Outer Space. Ich bin sprachlos. Dann ein weiterer Part, wie aus „Killing Technology“ ausgeschnitten. Aber frisch und vital. Dann eine verzögerte Pause, ein rhythmischer Stolperer, „I am a Space Avenger“, und der Soloteil, klingt eher nach den späteren Sachen. Im Gitarrensolo beweist Chewy, dass er durchaus seine eigene Persönlichkeit einbringt. Das darauffolgende Geriffe scheint der Höhepunt zu sein, aber dann kommt noch einmal ein unerhörter Basslauf aus dem Nichts und das Finale ist dann der Kracher: „Few more hours“, zweistimmig, mit einer derart einnehmenden Gitarre unterlegt: ich kann es nicht glauben. Voivod sind zurück.

02 – Kluskap O’Kom

Keine Atempause, es geht gleich weiter. Away hat in einem Interview geäußert, er hätte Blacky und Chewy gebeten, was zu machen wie früher, Motörhead, Discharge, War & Pain und so. Das hier ist dabei rausgekommen, und es ist großartig. Direkt nach dem seltsamen Vokalintro (Inuit Throat Singing!) entpuppt der Song sich als bissig, gemein und stumpf. In der Strophe melodisch, aber auch schräg. Die Steigerung in der Strophe macht mich wahnsinnig. Dann der Refrain mit den Gangshouts: das ist neu. Gefällt mir. Wieder Reminiszenzen an „Dimension Hatröss“. Was zum Teufel hat der Gitarrentyp da gemacht? Und wie? Da nochmal: wie das Ende von „Chaosmöngers“. Aber dann legen die noch einen Groove nach. Snake ist in Top Form und der Song bewegt sich auf Augenhöhe mit „Overreaction“. Klingt komisch, ist aber so.

03 – Empathy For The Enemy

Ziemlich moody, Akustikintro, langsamer, aber schwer pumpender Beat. Spätestens hier hat man eigentlich vergessen, dass da ein neuer Gitarrist spielt. Hier passiert genau das, was viele Leute an Voivod nicht mögen, ich aber sehr schätze: schräge Harmonien, die man zunächst gar nicht begreift, schnelle Passagen, die ihre Härte nicht aus dem Tempo ziehen, sondern aus der (Dis-)Harmonik, der Loslösung von Bass und Gitarre voneinander, die totale Dynamik, wie ein Mosaik, ein Puzzle, dass dazwischen dieser hochmelodische, zweistimmige Refrain Platz findet, finde ich phänomenal.

04 – Mechanical Mind

Ein weiteres, atmosphärisches Intro, klingt nach einem fremden Planeten, und das erste Riff ist…“Ahhh can’t describe what is going on“…ein „Dimension Hatröss“-Gedächtnis-Intro-Riff, das mich manchmal tagelang verfolgt, dann erinnert Snakes Gesang an die „Outer Limits“ Phase, während musikalisch ein „Phobos“-artiger Walzen-Groove regiert („Forlorn“ Refrain!), und dann, ungefähr in der Mitte heben die Kandadier vollends ab („Brain Scan“!). Das „NaNaNa“ von Snake nach dem Mittelteil unterstreicht noch einmal schön dieses Irrenhausfeeling. Unheimlich! Killersolo, mit viel Gefühl gespielt, und das Ende zeigt Voivod auf dem Höhepunkt…da steckt alles drin, was die Band ausmacht. „Why Am I? No Reason Why, Time’s Not A Friend, Leads Me To The End“. Stark.

05 – Warchaic

So langsam dämmert es: jeder Song hat ein Intro. Es wird psychedelisch, der Bass spielt im Vordergrund und das erinnert sofort an „Into my Hypercube“, irgendwie. Alter, klingt der Bass kaputt, geil! Blacky überhitzt die Röhren in seinem Amp absichtlich, das gibt einen ganz eigenen Overdrive Sound. Auch hier gibt es eine dunkel-atmosphärische Gitarrenstelle, die mich tagelang, bis in meine Träume, verfolgt. Immer wieder. Ich kann das nicht beschreiben. Danach wieder ein Part, der mich gesanglich an „Outer Limits“ erinnert, ich kann aber nicht mit dem Finger drauf zeigen.

06 – Resistance

Ein nahezu uplifting, vermeintlich gutgelaunter und ungewöhnlich melodischer Song mit Spitzen-Backingvocals in der Strophe. Zwingender Refrain, ein richtiger Rocker. Wieder ein tolles Gitarrensolo, und der Mittelpart mit den Demonstrations-Menschenmengengeräuschen kommt ziemlich zackig, bevor runtergefahren wird in einen „Phobos“-artigen Schlepp-Teil, der mich, vielleicht wegen der Thematik, an Jack Luminous erinnert. Killerbass am Ende. Hätte sich auch auf „Infini“ (2009) gut gemacht finde ich (fiele zwischen „Volcano“ & „From The Cave“ nicht weiter raus).

07 – Kaleidos

Das kranke Intro! Bass und Drums alleine sind schon schräg, aber wenn Gitarre & Gesang dazustoßen, wird’s erst richtig zappelig. Dann wiederum in sich auch hochmelodisch, im Stile der großartigen „Nothingface“. Tremoloeffekte auf der Gitarre und Hall auf dem Gesang in der Mitte illustrieren den Vertrauensverlust des Protagonisten in das eigene Urteilsvermögen. Dann am Ende wieder: „Jack Luminous“. Den 17minütigen Song von der „Outer Limits“ hat die Band mit Chewy schon live gespielt. Wie gesagt, der ist komplett irre! Ganz am Ende ein „Angel Rat“ Zitat. Vielleicht Einbildung, ähnelt aber „Nuage Fractal“. Geil.

08 – Corps Étranger

Ein Song komplett auf französisch! Hab ich zunächst nicht mal bemerkt. Wirklich flott, rauscht zunächst erstmal durch, vielleicht wegen der Sprachbarriere, der Psycho-Mittelpart hat es aber in sich. Hätte nichts dagegen, wenn textlich in die Richtung weitergedacht würde: funktioniert erstaunlich gut!

09 – Artefact

„Artefact“ klingt für mich immer wie die 2. Hälfte von „Corps Étranger“, als wären beide Songs eigentlich einer. Das Killerriff am Anfang und vor allem am Ende nochmal, mit dem Gesang, ist noch eins dieser Ohrwurm-Hirnzerfresser. Will man den Mittelteil vergleichen, landet man schnell bei „Pre-Ignition“, der Song bekräftigt aber meiner Meinung nach die unkorrumpierte Band, die ihren Signature Style nicht nur beibehält, sondern weiterentwickelt hat. Und damit konnte nun wirklich niemand rechnen!

10 – Defiance

Der Rausschmeisser, leider nur 1:30min kurz. Laut Away ist die Idee, die nächste Platte mit eben diesem Thema wieder anzufangen, um einen Bogen zu schlagen. Ich bitte darum, das Riff ist ein weiterer Knaller-Ohrwurm, konsequenterweise wird ausgeblendet. Und ich wette: auf der nächsten Platte wieder eingeblendet!

 

Wer bis hier gelesen hat: Hut ab! Auf der limitierten Mediabook-Version der CD gibt es als Bonustracks Live-Versionen von „Target Earth“ und „Man In The Trees“ (!!!) von den mächtigen Die Kreuzen mit deren Sänger Daniel Kubinski. Die Kreuzen sind ja ein großer Einfluss für Piggy gewesen, was man vor allem auf deren Meisterwerk „October File“…Frohne, übernehmen sie!

Diskografie

11984: War and Pain 11986: Rrröööaaarrr 11987: Killing Technology 11988: Dimension Hatröss 11989: Nothingface 11991: Angel Rat 11993: The Outer Limits
11995: Negatron 11997: Phobos 12000: Lives 12000: Kronik 12003: Voivod 12006: Katorz 12007: Black Pack
12009: Infini 12011: Warriors of Ice 12013: Target Earth
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